Fish and Chips
Einführung in das Thema des Workshops “Entwerfen im Computerzeitalter”, in: “Erkundungen”, Internationaler Design Kongress Stuttgart 1986, Dokumentation, Design Center Stuttgart 1987
Wenn man einmal absieht von dem, was das tägliche Design ausmacht, der Verbesserung, Verbilligung und Verschönerung von Produkten (nützliches Tagesgeschäft, das auch immer noch genügend Designer zu beschäftigen vermag), wenn man nach längerfristig angelegten und kaum merkbar sich abzeichnenden Entwicklungen forscht, so lassen sich tiefgreifende Änderungen ausmachen.
Ich greife eine heraus, die Mikroelektronik, weil an ihr, deutlicher als in anderen Bereichen, sich demonstrieren lässt,
1. dass die Technik abstrakter geworden ist. Mechanik, die noch anschaulich war, weicht der Elektronik. Die vorletzte
Generation von Drehmaschinen brauchte Hebel und Handräder, um sie zu bedienen. Ergonomie der Bedienelemente war designerische Aufgabe. Inzwischen ist die mechanische Bedienung der elektronischen gewichen, alles wird von einem Kontrollpult dirigiert.
Ein klassisches Gestaltungsziel, die Funktion sichtbar zu machen, muss neue Wege suchen.
2. dass die Technikzu sinnlicher Verarmung führt und die Motorik verkümmert, wenn ein Reflex des Zeigefingers genügt, um eine schwere Last zu heben oder ein Fußstippen, um das Auto von 160 auf 100 km/h zu bremsen. Drucktasten für Hand und Fuß, überall die gleichen Bedienungselemente und Displays. Welch einen Reichtum besitzt doch die menschliche Handschrift, aber sie ist nicht digitalisierbar. Haben wir uns nicht schon satt gesehen an der Computerschrift, die uns, geben wir’s zu, zuerst doch fasziniert hat?
Neue visuelle und haptische Stimuli müssen erfunden werden, die einen anderen Umgang mit Technik ermöglichen – kreativ, sinnlich und reflektiv.
3. dass die Technik gestaltlos geworden ist, weil sie kein Volumen mehr erfordert, enorm geschrumpft ist und in jede Form gepackt und verpackt werden kann. Megabits auf dem Fingernagel zu tragen oder am Ohr, wenn man will, auch unter der Haut.
Taschenrechner sind so klein geworden, dass man eine Prothese braucht, um sie zu bedienen.
Die Kompaktheit als Ausdruck modernster Technologie ist letztendlich sinnlos geworden, weil nicht mehr praktikabel. Jede kompakte, anonyme Box verlangt nach sinngebender Gestalt.
Aber welcher?
Was machen, wenn die Mechanik nicht mehr die Form bestimmt? Ist der Designer dann frei, alles zu tun, vielleicht wie der freie Künstler, den er für diese Freiheit beneidet und zu dem er sich heute besonders hingezogen fühlt?
Kann er nun seine Individualität entwickeln, sich allen Zwängen entziehen, seiner Subjektivität fröhnen, sein eigenes Ich ausleben?
Gewiß nicht.
Gegenstände des Design werden, im Unterschied zum Kunstwerk, nicht nur geistig, sondern auch praktisch gebraucht. Und nicht nur von einigen wenigen, sondern von vielen. Das ist das Charakteristikum eines Massenproduktes, und es zu gestalten, ist die Aufgabe des Designers.
Wenn dann die Mechanik schon nicht hilft, die Form zu finden, dann vielleicht die Gebrauchsweise, die mir sagt, wie ich den Gegenstand gestalten soll. Das aber wiederum heißt, die Frage an den Benutzer zu stellen. Wie aber soll der über die Gebrauchsweise etwas aussagen, wenn zum Beispiel der Gegenstand noch gar nicht existiert, zu dessen Gebrauch er etwas aussagen soll. Oder muss dann der Benutzer zukünftige Gebrauchsweisen antizipieren? Das wird ihm schwerfallen, da seine Fantasie abgestorben ist und er das Spielen verlernt hat, damit aber auch den freien Umgang mit Technik – Technik als Mittel und nicht als Selbstzweck. Zu viele soziale Zwänge und Gewohnheiten, so scheint es, hindern ihn daran. Und dem Konsumenten, so vermute ich, fehlt es an Fantasie, die bereitgestellten Möglichkeiten auszuschöpfen.
Ich möchte deshalb die These wagen, dass der Benutzer das Potenzial menschlicher Erfindungsgabe gar nicht nutzbar machen kann, weil es ihm dazu an Vorstellungsvermögen mangelt.
Wer nun, so die berechtigte Frage, ist in der Lage
– die Möglichkeiten der Technik vorauszusehen oder zumindest zu erahnen,
– mögliche Gebrauchsweisen vorauszudenken,
– Utopien zu formulieren,
– sie auf ihren gesellschaftlichen Sinn zu prüfen,
– ihnen Gestalt zu verleihen, die auch noch all das Gesagte ausdrückt?
Das kann eigentlich nur ein Genie sein!
Bleiben wir deshalb einmal bescheiden, versuchen wir einmal, so die Absicht des Werkbund-Seminars, das kreative Potenzial junger Designer zu stimulieren, sie zu fragen, wie sie die Zukunft sehen!
Und der Werkbund war damit ganz unkonventionell, das »Machen«vor das »Reflektieren« zu stellen.
Urteilen Sie selbst, ob die entstandenen Gegenstände zukünftige Gebrauchsweisen erahnen lassen, einen sinnlichen Umgang mit Technik andeuten, ausgedrückt an Objekten, deren Technik möglich, aber nicht gegenwärtig ist.
Ein Versuch, die Form zum Inhalt zu machen!