Leo Wollner, die Stuttgarter Akademie und die Pausa
- Wie kam Leo Wollner an die Stuttgarter Akademie.
- Was brachte er ein ?
- Was fand er vor? Das künstlerische und wirtschaftliche Umfeld.
- Die Textilkunst in den 50er und 60er Jahren.
- Was hat Leo Wollner an der Akademie bewirkt ?
- Wollners freiberufliche Tätigkeit in der Industrie.
- Lehre und Leitmotive.
1. Wie kam Leo Wollner an die Stuttgarter Akademie ?
Nach dem Ausscheiden von Prof. Harmi Ruland 1957, die nach dem 2. Weltkrieg die Abteilung Textil an der Akademie, zusammen mit Modegraphik, Bühnenkostüm, Handweberei und Batik geleitet hatte, strebte der Senat der Akademie eine Verlagerung von der Modegraphik zum Textilentwurf an. Modegraphik und Bühnenkostüm sollten nicht mehr weitergeführt werden. Statt dessen suchte man nach einer Persönlichkeit, die auf dem Gebiet der Weberei und des Stoffdrucks hervorgetreten war. Die Wahl fiel auf den Wiener Leo Wollner, der im Herbst 1957, als 32 jähriger, seine Lehrtätigkeit an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste aufnahm. (Anmerk.1)
Leo Wollner war in Stuttgart durch einen Wettbewerb bekannt geworden, den die Firma Pausa AG unter Künstlern ausgeschrieben hatte und vom Landesgewerbeamt Baden-Württemberg durchgeführt wurde.
Diese Institution war schon sehr früh die Drehscheibe zwischen den praktizierenden Künstlern und der Wirtschaft und konnte auf eine lange, von Ferdinand von Steinbeis eingeleitete Tradition der Gewerbeförderung zurückblicken. Sie beansprucht, „die älteste Einrichtung dieser Art“ zu sein und schon sehr früh die Bedeutung der Gestaltung für die Wirtschaft erkannt zu haben. Die 1850 errichtete Vorbildsammlung kann mit Recht als Vorläufer des Design Center Stuttgart angesehen werden. Ihr Vater ist Ferdinand von Steinbeis, der auf der Weltausstellung im Kristallpalast in London die Präsentation des Landes Württemberg plante und hohes Lob dafür erntete. Er hat auch Prinz Albert die Anregung für eine Mustersammlung gegeben, aus der dann das berühmte Victoria & Albert-Museum wurde, zu dessen Eröffnung Ferdinand von Steinbeis nach London eingeladen wurde. Im armen Württemberg musste alles viel bescheidener sein. Immerhin kam es zum Bau des Landesgewerbeamtes 1896, als Königliche Zentralstelle für Gewerbe und Handel, ab 1921 Landesgewerbeamt, heute Haus der Wirtschaft, und einer ersten Mustersammlung, die dann auch von den folgenden Generationen weiterverfolgt wurde. Mustersammlungen wurden, im Verständnis des 19. Jahrhunderts, als die geeignete Form von Gewerbeförderung angesehen. Durch das Kopieren künstlerischer, qualitätvoller und wirtschaftlich erfolgreicher Waren wollte man die heimische Industrie exportfähig machen (Anmerk.2)
Einer ihrer frühen Direktoren, Gustav Pazaurek galt als bedeutendster Kenner böhmischen Glases und wurde durch seine eigenwillige Kitschsammlung “Geschmacksverirrungen im Kunstgewerbe“ 1909 bekannt, mit der er, ganz im Sinne des Idealismus und des frühen Werkbundes, eine „Erziehung zur ästhetischen Kultur“ verfolgte. (Anmerk.3) Eine weitere Persönlichkeit soll angeführt werden, Dr. Hermann Gretsch, 1932 Vorstand des Landesgewerbemuseums, Abteilung Sammlungen. Er ist bekannt geworden durch seine Entwürfe für die keramische Industrie. Einige seiner Entwürfe sind heute noch in Produktion. Er hat sich ausgiebig zu Fragen der Gestaltung und der industriellen Produktion geäussert (Anmerk.4)
Alle drei Persönlichkeiten stehen für die frühe Phase des Landesgewerbeamtes Stuttgart.
Nach dem Kriege hat das Landesgewerbeamt Stuttgart sich mit massgeblichen, auch international beachteten Ausstellungen, Ansehen erworben und neue Formen der Wirtschaftsförderung entwickelt; Ausstellungen, Firmenpräsentationen, Wettbewerbe und Weiterbildungsmassnahmen für die gestaltenden Berufe.
Es war der Ort, an dem die gestaltenden Berufe ihre Anregungen fanden und ihre Ideen darstellen konnten. Die gestaltungsorientierten Unternehmen fanden dort ein Schaufenster, wo sie mit ihren Produkten und ihrer Unternehmenskultur werben konnten.
Ein Unternehmen, welches das Potential schon sehr früh erkannte, war die Firma Mechanische Weberei Pausa GmbH, ein Wegbereiter moderner Textilgestaltung, „eine der grössten Handdruckereien der Welt, eine Produktionsstätte indanthrenfarbener Vorhangstoffe mit überragender, internationaler Bedeutung“.(Anmerk. 5) Ihr ging es um die „Schönheit
im Raum“, die sie auf dem Weg zu den „Architekten und dem Publikum“ zu finden hoffte und durch die „Einschaltung von Kunstschulen“ sich neue Impulse versprach. Sie ist aus den vielen kleinen Webereien auf der schwäbischen Alb hervorgegangen und beschäftigte in den 50er Jahren 600 Mitarbeiter, verfügte über modernste Produktionsverfahren, über ein modernes und bemerkenswertes Fabrikgebäude, von Manfred Lembruck entworfen, und erkannte die Bedeutung der Entwerfer für das höchst sensible Geschäft bei der Gestaltung und Vermarktung von Textilien. Geworben hat sie mit den Produkten, welche in London, Amsterdam, der Triennale in Mailand und der Weltausstellung in Brüssel gezeigt wurden. Der Motor von Pausa und spätere Mentor von Leo Wollner war Willy Häussler, der 1949 als Mitarbeiter der Vereinigten Werkstätten München zu Pausa gekommen war und ihr Geschäftsführer wurde. Und Willy Häussler war auch der Initiator eines Wettbewerbes unter Textilkünstlern, dessen Ergebnisse im Landesgewerbeamt Stuttgart gezeigt wurden. Zu diesem Wettbewerb wurden Leo und Gretl Wollner von Frau Dr. Amelie Duras aufgefordert, Kuratorin im Landesgewerbeamt, die in Wien studiert hatte und von dort die beiden Wollners kannte. Ein Preis, den Leo Wollner verdient hätte, konnte ihm nicht zuerkannt werden, weil er Ausländer war. Willy Häussler hat ihn nach seiner erfolgreichen Teilnahme aufgefordert, mit der Firma Pausa zusammenzuarbeiten. Die Wettbewerbsergebnisse hatten ihn in Stuttgart bekannt gemacht und indirekt zu seiner Berufung an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart beigetragen.
Das Profil der Akademie nach dem Krieg war im Umbruch. Überkommene Strukturen standen neuen Entwicklungen im Wege. Mit der Berufung Wollners wurde eine Neuorientierung und Konzentration angestrebt. Die angewandten Künste hatten in den 50er und 60er Jahren eine Aufwertung erfahren. Der Werkbund war wieder aktiv geworden, Gestaltung war nicht mehr das Anliegen einer Kulturelite, sondern wurde auch zunehmend in Wirtschaft und Politik erkannt. Die Kunstschulen suchten den Kontakt zur Industrie und, lange bevor es einen Markt für „Formgestalter“ gab, wurden diese schon mehr oder weniger gut an Kunsthochschulen ausgebildet.
In Stuttgart hatten Möbelentwurf und Innenarchitektur vor dem Krieg eine lange Tradition, die vor allem auf Bernhard Pankok zurückzuführen ist, der als Künstler, Architekt, Raumgestalter und Direktor der Kunstgewerbeschule in Stuttgart wirkte und dort, mit der Einführung von Werkstätten, neue Impulse in der Ausbildung setzte. Adolf Hölzel war einer der herausragenden Lehrer, dessen Lehre von den „bildnerischen Mitteln“ durch seine Schüler Itten und Schlemmer am Bauhaus fortgeführt wurde. Auch Adolf Schneck ist zu nennen, der in der Weissenhofsiedlung 1927 vertreten war. Nach 1945 hat der spätere Bundespräsident Heuss, Mitglied des Werkbundes, dessen Geschäftsführer er von 19919-1923 war, als Minister in Baden-Württemberg das Hochschulwesen mitgeprägt.
Mit den Berufungen von Karl Wiehl, Herta Maria Witzemann, Herbert Hirche , Hans Warnecke, Leo Wollner u.a. wollte die Hochschule an den Traditionen der 20er Jahre anknüpfen und den Anforderungen des Wiederaufbaus und eines demokratischen Aufbruchs Rechnung tragen. Die Berufung Leo Wollners an die Stuttgarter Akademie hatte deshalb programmatischen Charakter, wenngleich es im Senat eine Fraktion gab, welche die Zuwendung zu Problemen der industriellen Produktion mit Misstrauen verfolgte und immer wieder blockierte.
2. Was brachte er ein ?
Neben einer fundierten Ausbildung an der Akademie für angewandte Kunst Wien bei Prof. Wimmer-Wisgrill und Mitarbeit in dem von Josef Hoffmann geleiteten Künstlerwerkstättenverein, hatten sich Leo und Gretl Wollner durch Reisen nach England, Schweden und den Vereinigten Staaten Einblicke in das internationale Textilgeschehen erworben, welche über die wiener Tradition hinausgingen und ihre künstlerische Entwicklung massgeblich beeinflussten. 1951 wurde Leo Wollner auf der IX Triennale mit einer Silbermedaille, dann 1954 auf der X Triennale mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Hervorzuheben ist auch der Erfolg, den das Ehepaar Wollner in den USA hatte. 1953 hatte dort die Arthur Fleischmann Carpet Company einen internationalen Wettbewerb unter Textilgestaltern und Künstlern ausgeschrieben, der den „Idealen des neuen Bauens“ Gestalt geben sollte. Leo und Gretl Wollner wurden mit dem ersten und zweiten Preis ausgezeichnet. Zwei herausragende Persönlichkeiten und Pioniere des amerikanischen Design, Eero Saarinen und Charles Eames , hatte man als Juroren für den Wettbewerb gewonnen. Seine Ergebnisse wurden im Museum of Modern Art gezeigt wie auch in einer vielbeachteten Ausstellung in Deutschland und Österreich. Sie fand ein lebhaftes Interesse und wurde von deutschen und österreichischen Medien in der Tagespresse besprochen.
Leo Wollner hatte, als er an die Akademie berufen wurde, viele internationale Erfolge zu verzeichnen und sein „untrügliches Gespür für die Zeit“ unter Beweis gestellt. Sein handwerkliches Können war unbestreitbar. Schon 1954 hatte er in Wien eine Firma gegründet, die hochwertige Textilien für den Wohnbereich produzieren und vermarkten wollte. Er besass Marktkenntnisse und seine internationalen Erfahrungen sollten dem zu schaffenden Studiengang neue Impulse geben. Auch die ambitionierte Textilindustrie der Region war an einer Ausbildung von qualifizierten Gestaltern interessiert und hat Leo Wollners Berufung an die Akademie unterstützt.
3. Das Umfeld.
An der Akademie fand Leo Wollner einen kleinen Kreis, der sich modernen Auffassungen verpflichtet fühlte. Schon vor dem zweiten Weltkrieg hatte der Werkbund eine bedeutende Rolle gespielt und, als bleibendes Vermächtnis in Stuttgart 1927 die Weissenhofsiedlung initiiert. Es gab eine Stuttgarter Architekturschule, die auch nach dem Krieg wieder Bedeutung erlangte. Die Stuttgarter Akademie hatte einen ausgezeichneten Ruf auf dem Gebiet der Gebrauchsgraphik und Typographie, was dazu geführt hat, dass die dort ausgebildeten Gestalter sich in der Region niederliessen und Arbeit fanden. Neben dem schon genannten Landesgewerbeamt mit ständigen Ausstellungen, Vorträgen und einer bedeutenden Sammlung kunsthandwerklicher und industrieller Produkte, waren es eine Reihe von Unternehmen, welche in der neuen „Formgestaltung“ eine Chance sahen, die Qualität ihrer Produkte zu verbessern und mit ansprechender Gestaltung sich profilieren wollten. Diese Bestrebungen fielen zusammen mit dem Erstarken der Wirtschaft und dem Aufkommen eines anspruchsvollen Konsumenten. Ästhetische Fragen waren ein Thema und, besonders in Schwaben, mit ethischen und sozialen Anschauungen verknüpft.
Zu Leo Wollners professionellem Umfeld gehörte auch, dass es in der Region eine Reihe von Textilfirmen gab, die sich mit ihren Kollektionen national und international hervorgetan hatten. Sie haben ihn in seiner Stuttgarter Zeit stimuliert und waren ein willkommenes Umfeld für eine praxisorientierte Lehre und Arbeitsmöglichkeiten für seine Studenten nach dem Studium.
Die schon genannte Firma Pausa ist ein Beispiel dafür. Sie hatte schon früh Künstler aufgefordert, Entwürfe für Druckstoffe zu machen. Sie produzierte im Laufe der Jahre Entwürfe von HAP Grieshaber, Willi Baumeister, dem Italiener Piero Dorazio, Elsbeth Kupferroth, Anton Stankowski, Verner Panton, Walter Matysiac, Wolf Bauer und, mit grossem Erfolg, von Leo Wollner. Sie hat mit einem grosszügig angelegten Prospekt die von Leo Wollner entworfene Kollektion mit dem Titel „Struktur als Muster“ geworben, welche auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 gezeigt worden war. (Anmerk.6) Pausa hat die Ausbildung von Textilgestaltern nachhaltig unterstützt und 1962 mit der Klasse von Leo Wollner einen ersten Wettbewerb für Dekorstoffe durchgeführt und mit einem für die damalige Zeit ungewöhnlichen Katalog dokumentiert. (Anmerk.7)
Ein anders Textilunternehmen, die Stuttgarter Gardinenfabrik GmbH, zeigte 1959 im Landesgewerbeamt eine Ausstellung mit dem Titel „Das Profil einer Firma“. Darin demonstrierte sie ihre Firmenphilosophie , zeigte ihre Produkte und beschrieb auch die Entwicklung der Dessins. (Anmerk.8) Schon 1938 hatte sie ein Entwurfsatelier unter der bekannten Textilgestalterin Margret Hildebrand eingerichtet, der späteren Leiterin des Studiengangs Textilgestaltung an der Hochschule der Künste in Hamburg. Nach 1963 war es Antoinette de Boer, Schülerin von Margret Hildebrand, die das Entwurfsatelier weiterführte.
Die Firma Mira-X in Leinfelden-Echterdingen, 1959 gegründet, beauftragte u.a. Verner Panton und Robert & Trix Hausmann als Entwerfer und Farbberater.
Heal & Son Ltd. London hatte 1964 eine deutsche Niederlassung in Stuttgart gegründet, die 1986 selbstständig wurde . Für sie arbeiteten u.a. Wolf Bauer, Schüler von Wollner und Christa Häusler-Goltz.
Sunar Textil GmbH, zuerst Schelklingen, dann Ulm, beschäftigte u.a. Anni Albers, Wolf Bauer und Christa Häussler-Goltz
Sie alle haben in einem kompetitiven Umfeld das Textilgeschehen der 50er und 60er Jahre geprägt, das Leo Wollner aufgenommen und mit neuen Impulsen versehen hat.
4. Die Textilkunst der 50er und 60er Jahre.
Dass die namhaften Firmen, im Bestreben, zeitgemässe Entwürfe zu erlangen, sich an die Künstler ihrer Epoche wandten, hat seine ideengeschichtlichen Wurzeln. Das Kunstgewerbe und die Tradierung einer überkommenen Ornamentik für die Gestaltung von Textilien hatte lange Zeit das Textilgeschehen geprägt. In den 50er Jahren fand, vor allem in Skandinavien und den USA, der Bruch mit dieser Tradition statt. Textilien sollten Zeichen der Zeit sein, Signale des Aufbruchs und einem neuen Lebensgefühl Ausdruck verleihen. Bedruckte Textilien erlebten eine Hochkonjunktur. Auf der Suche nach neuen Wegen erschienen die abstrakte Kunst, die Werke der konkreten Künstler und des folgenden Informel jener Zeit dafür geeignet zu sein, dem Textilentwurf neue Impulse zu verleihen. Sie haben das Textilgeschehen nachhaltig beeinflusst, aber auch Grenzen aufgezeigt. Die Übertragung künstlerischer Formfindungen auf die textile, durch Rapport bestimmte Meterware, war nicht immer erfolgreich. Oft war die Handschrift des Künstlers zu persönlich, berücksichtigte nicht das Wohn-Umfeld oder entsprach nicht den Farbvorstellungen des Massenpublikums. Erfolgreicher waren die Entwürfe der professionellen Textilgestalter, welche die Impulse der Zeit aufgriffen und in marktfähige „Patterns“ übersetzten. Die Druckstoffe der Künstler haben Resonanz in der Presse gefunden, deren Bezug zur Kunst ein dankbares Thema war, aber die Marktakzeptanz nicht zu reflektieren vermochte.
Bei den Webstoffen waren die professionellen Textilgestalter gefragt, die über das Wissen verfügten, wie ein Stoff „konstruiert“ werden muss, um einen vorbestimmten Zweck zu erfüllen. Diese wussten auch, dass ihre Entwürfe langfristig angelegt sein mussten und Zurückhaltung erforderten. Sie waren nicht vordergründig spektakulär. Deshalb stehen sie auch heute noch im Schatten der kunsthistorischen Betrachtungen, die sich mit interpretierbaren, zeitgeistigen Druckmustern auf bekanntem Terrain befand. Die gewebten Stoffe für den Alltag, für Möbelbezüge oder für Autositze z.B, werden aus dem handwerklichen Vorgang, dem Weben, entwickelt. Sie sind eine gestalterische, aber in der Fachliteratur wenig beachtete Leistung.
6. Was hat Leo Wollner bewirkt ?
Leo Wollner war zur Zeit seiner Berufung an die Stuttgarter Akademie ein junger Lehrer, der Erfolge in der Wirtschaft nachweisen konnte. Bei den freien Künstlern im Senat der Akademie war das vielleicht nicht die richtige Visitenkarte. Aber sein ausgeprägtes Interesse und sein Urteilsvermögen für die zeitgenössische Kunst hat sie überzeugt. Leo Wollner hatte bis zu seinem Ausscheiden ein intensives Verhältnis zu den meisten Künstlerkollegen. Alle grossen nationalen und internationalen Kunstausstellungen waren ihm bekannt, die meisten hat er selbst besucht. Dieses Interesse hat er auch an seine Studenten weitergegeben. Er hat sie für die Kunst und die zeitgenössische Kunst im Speziellen sensibilisiert und damit auch nachhaltig geprägt. Das war keineswegs selbstverständlich in einer Textilklasse. Natürlich gehörten Architektur, Raumgestaltung, Möbeldesign, Industriedesign und Graphik zu seinen professionellen Interessengebieten. Ihre Ausstellungen und Präsentationen hat er kritisch verfolgt. Das Textildesign, so verstand er es, war ein Teil davon. Wohl kaum ein Lehrer an der Akademie besass ein so breites Interessenspektrum wie Leo Wollner es gelebt und vorgemacht hat.
Er kannte die Geschichte der Moderne, die Geschichte der Wiener Werkstätte und alles, was sich darum rankte. Das Bauhaus war ihm vertraut, kannte er doch noch einige Lehrer persönlich. Aber auch die Entwicklung nach dem Krieg, in die er selbst eingebunden war, hat er intensiv verfolgt. Für seine Studenten verkörperte er deshalb ein Stück aktuelle Designgeschichte. Diese, ebenso wie die Kunstgeschichte, waren deshalb ein fester Bestandteil seiner Lehre.
Für Leo Wollner war das handwerkliche Können von entscheidender Bedeutung. Er hat seine Abteilung mit Webstühlen und Druckeinrichtungen ausgestattet und von seinen Studenten ein hohes Mass an manuellem Können gefordert. Sie sollten in der Lage sein, den industriellen Prozess bei der Herstellung eines Gewebes schon im Entwurf zu simulieren und seine ästhetischen und haptischen Eigenschaften sichtbar und fühlbar machen können. Leo Wollner hat seine Studenten auf die Praxis vorbereitet und sie in Wettbewerben mit konkreten Aufgaben konfrontiert. Das war zu seiner Zeit keineswegs gängige Praxis. Oft stammten Anregungen zu einem Wettbewerb der Industrie von ihm. Die Studenten der Textilabteilung haben, in der Regel als betreute Studienarbeit, an vielen nationalen und internationalen Wettbewerben teilgenommen, wo sie auch immer erfolgreich waren. Dabei ging es um Dekorstoffe, Tischwäsche, Teppiche, Bekleidungstextilien, Tapeten und Dekore. Interessant ist eine Auflistung der Wettbewerbe, weil daraus zu entnehmen ist, welche Unternehmen und Verbände sich aktiv um neue Entwurfe bemühten und die Kreativität der jungen Entwerfer herausforderten. (Anmerk. 9) Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass sich Studienarbeiten in renommierten Museen befinden, so im Museum of Modern Art New York, im Museum für angewandte Kunst Wien, in der neuen Sammlung München, im Museum für Angewandte Kunst Köln, im Landesmuseum Stuttgart
und, nach seiner Emeritierung, in der Sammlung der Stuttgarter Akademie. (Anmerk. 10) Nicht weniger aktiv war die Abteilung bei öffentlichen Präsentationen. Mehr als ein Dutzend Ausstellung fallen in die Zeit von 1960 – 1990. Studienarbeiten wurden gezeigt in Rotterdam, London, Wien, in Baden-Baden und natürlich in Stuttgart, wo das Landesgewerbeamt immer wieder das heimische Forum abgab und die schwäbische Textilindustrie stimulierte. Einer ihrer prominenten Vertreter, der Inhaber der Stuttgarter Gardinenfabrik, Goltermann stellte dann auch 1977 fest, dass ihn ganz besonders die „hohe Qualität der Bewerbermappen und der schon ausgeführten Arbeiten der Absolventen beeindruckt hat“, was man als hohes Lob aus dem Munde eines erfolgreichen Managers der Textilindustrie ansehen muss. (Anmerk.11)
7. Leo Wollners freiberufliche Tätigkeit.
Erfolgreich war die Textilabteilung nicht zuletzt deshalb, weil ihr Lehrer als freiberuflicher Entwerfer mit beiden Beinen in der Praxis stand und mit vielen bedeutenden Aufträgen sich einen Ruf erworben hatte. Auch wenn seine eigenen Arbeiten und die seiner Schüler für einen Aussenstehenden als Gesamtheit erscheinen, – zwischen Lehrer und Schüler gibt es immer formale und ideologische Beziehungen – hatte Leo Wollner seine eigene Handschrift. Im praktischen Geschäft hat er immer darauf geachtet, Lehre und eigene Arbeit säuberlich zu trennen. Er hat seine eigenen Arbeiten auch nie seinen Studenten gezeigt.
Zu seinen freiberuflichen Aktivitäten während seiner Lehrtätigkeit in Stuttgart gehörten Textilentwürfe für die Industrie, Einzelstücke für Innenräume, Farberatungen und Ausstellungen. Immer hat er mit seiner Frau Gretl Wollner zusammengearbeitet, weshalb die freiberufliche Tätigkeit Leo Wollners auch immer die seiner Frau mit einschliesst. Sie waren eine vorbildliche künstlerische Gemeinschaft. (Anmerk, 12)
Ihre frühen internationalen Erfolge, – 1951 auf der Triennale Mailand, 1952 die Entwürfe für die Firma Pausa, der Doppelerfolg beim internationalen Wettbewerb für Teppichentwürfe in Detroit, der Preis des „American Institut of Decorators 1953 und noch einmal ein Erfolg auf der Triennale in Mailand 1954 – , haben das Stedelijk Museum in Amsterdam bewogen, den Arbeiten von Leo Wollner eine Einzelausstellung zu widmen, die von Dez.1958 bis Jan.1959 dort zu sehen war und mit einem ungewöhnlichen Katalog mit textilen Einbindungen dokumentiert ist .(Anmerk. 13)
Für das junge Ehepaar Leo und Gretl Wollner, sie waren noch nicht 40, war der Auftrag 1958, den Hauptvorhang für das Festspielhaus in Salzburg zu gestalten, eine Herausforderung. Vermutlich kam der Auftrag auf Betreiben des Architekten Holzmeister zustande. Wollners Aufgabe für Salzburg beinhaltete auch alle Textilien, Teppiche und Bezugsstoffe, die im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Festspielhauses notwendig wurden. Ihr Entwurf für den Hauptvorhang sah 102 Quadrate von 180 cm Kantenlänge vor, auf die Grösse des Menschen abgestimmt, rot in rot gehalten und so kombiniert, dass farbliche Nachbarschaften sich nicht wiederholen. Mit dieser Arbeit, die in der österreichischen Presse gewürdigt wurde, (Anmerk. 14 ) gehörten die Wollners nun auch bei einer breiteren Öffentlichkeit zur Spitze der jungen Textilkünstler Österreichs. Auch in Deutschland wurden sie damit bekannt, was zu weiteren Aufträgen geführt hat. 1970 bekam Leo Wollner den Auftrag, den Hauptvorhang für das Staatstheater Stuttgart zu entwerfen, der auch in der Tagespresse besprochen wurde. Kurzfristig hatte sich der Theaterbeirat eingeschaltet und das ursprüngliche Farbkonzept umgeworfen. Mit dem Kompromiss war man dann auch nicht glücklich. Hoflehners eiserner Vorhang und Leo Wollners rot changierender Bühnenvorhang jedoch wurde als ausnehmend gelungen gewürdigt. (Anmerk.15) Ihm folgte 1973 der Auftrag für einen weiteren Bühnenvorhang in Stuttgart und 1975 der Auftrag, den Bühnenvorhang für das Kongresszentrum Rosengarten in Mannheim zu entwerfen. 1983 entwarf er einen zweiten Vorhang für das Festspielhaus in Salzburg und im Jahr darauf eine Serie von Wandteppichen für die Bach-Akademie Stuttgart.
Eine überaus fruchtbare und über dreissig Jahre dauernde Zusammenarbeit verband ihn mit Erwin Heinle, Partner des bekannten stuttgarter Architekturbüros Heinle Wischer & Partner. Erwin Heinle, Kollege an der Akademie, hat Leo Wollner in die Innenraumgestaltung der vielen öffentlichen, von HWP gebauten Gebäude einbezogen und mit der Farb-und Materialberatung beauftragt, ebenso mit der Beratung bei der Beauftragung von Künstlern, wie auch ihn selbst mit dem Entwurf von Teppichen und Tapisserien eingebunden. Sein Gespür für die Wirkung von Textilien im Raum und sein künstlerisches Urteilsvermögen haben zu vielen, heute noch ansprechenden Raumgestaltungen geführt und sind bemerkenswerte Beispiele einer glücklichen Symbiose von Architektur und Textilgestaltung. Zu erwähnen in diesem Zusammenhang ist seine Mitarbeit bei dem Landtagsgebäude Baden-Württemberg, der Pädagogischen Hochschule und Staatlichen Sportschule in Ludwigsburg, der Hochschulsportanlage für die Olympiade 1972 in München, beim Stadthaus in Bonn, beim IBM – Verwaltungsgebäude in Frankfurt-Niederrad, dem Krebsforschungszentrum in Heidelberg, dem Bundsministerium für Post – und Fernmeldewesen in Bonn, beim Kreiskrankenhaus in Leonberg und der Bundeswehrhochschule in München. Als erinnerungswert, so schreibt Erwin Heinle, waren die Diskussionen an der Internationalen Bach-Akademie mit seinem Leiter Helmuth Rilling in Stuttgart 1983-84, für die Leo Wollner eine textile Umsetzung aus Johann Sebastian Bachs wohltemperiertem Klavier entwickelt und realisiert hatte. (Anmerk. 16)
Neben den umfangreichen Arbeiten an Web-und Druckstoffen für die Textilindustrie hat Leo Wollner eine beeindruckende Menge an Unikaten für den privaten, vor allem aber für den öffentlichen Bereich entworfen und realisiert. Sie demonstrierten Witz und Charme und, wenn angebracht, Würde und Feierlichkeit. Der Spagat zwischen Serienprodukt und künstlerischem Unikat war für ihn selbstverständlich. In den Arbeiten von Leo Wollner bedingen sich Kunst – und Konsumprodukt.
Ist es die “ Kunst, die sich nützlich macht“, Titel eines Katalogs der Neuen Sammlung München, wird die Kunst für profane Zwecke geplündert, wie die freien Künstler gerne abschätzig behaupten oder ist es der Versuch, Kunst in den Alltag einzuführen, wie es Abraham Moles formuliert? Wollners Arbeiten könnten zu diesen Fragen einen praktischen Beitrag liefern und einem schlummernden, kontroversen aber grundsätzlichen Thema, Stoff geben ; – dem Zusammenhang zwischen Kunst und angewandter Gestaltung.
7. Lehre und Leitmotive.
Wollners Leitmotive kann man am besten aus seinen praktischen Massnahmen ableiten. Als er an die Akademie kam, war Vieles der alten Textilabteilung zerstört oder überaltert. Zuerst hat er sich mit Erfolg bemüht, sie mit Webstühlen und später mit Druckeinrichtungen auszustatten. Dabei haben ihm seine Kontakte zur Industrie geholfen, die bereit war, Maschinen und Materialien zur Verfügung zu stellen. Die Textilindustrie hatte erkannt, dass ihre Investition in die Ausbildung ihr nützt und ihr ein Rekrutierungspotential und kreatives Umfeld verschaffen konnte. Dann hat Leo Wollner seine Studenten nach dem ersten Probesemester für ein Jahr auf die Berufsfachschule für Weberei und Webschule nach Sindelfingen beurlaubt, wo sie das Handwerk lernen und einen Einblick in die Probleme der Produktion erhalten sollten. Wenn sie dann in die künstlerische Atmosphäre der Akademie zurückkamen, brachten sie ein gerütteltes Mass an handwerklichen Fähigkeiten und Kenntnisse der Produktionsweisen mit.
Leo Wollner hat seine Studenten gefordert und sie schon im Studium, durch Wettbewerbe mit Unternehmen und Verbänden, behutsam an die Praxis herangeführt. Damit hat er ihnen auch die Angst vor der Berufspraxis genommen. Seine Absolventen haben vom guten Ruf der Abteilung profitiert und leicht Arbeit gefunden. Viele seiner Schüler sind heute in der Lehre tätig. (Anmerk. 17)
Wollner hat seinen Studenten die Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst „verordnet“, sie auf Exkursionen mitgenommen und Kunstgeschichte als Fach obligatorisch gemacht. Er hat sie angeregt, sich mit Architektur, dem Raum und dem Design zu befassen und hat an der Akademie interdisziplinäre Kooperationen geschmiedet.
Wollners Lehre war von seinen eigenen Erfahrungen als Entwerfer geprägt. Der Prozess des Entwerfens war ihm sehr bewusst und er hat ihn aktiv gesteuert. Die Kulturkritikerin Inge Santner hat, anlässlich einer Ausstellung 1961 im „Bijenkorf“ in Rotterdam, seine Entwurfsmethode treffend beschrieben und gesagt „er lebt zwischen Webstuhl, Stoffballen und Farbtöpfen“. (Anmerk. 18) Er war kein Entwerfer, der am Schreibtisch klebte, sondern hat sich von den Dingen, ihren stofflichen Qualitäten, ihren Anmutungen und ihren Zufälligkeiten anregen lassen. Unentwegt wechselte er das Medium, sprang vom Buntstift zum Webstuhl, von der Kollage zur Feder, oder von der Schrift zur Photographie. Er war ständig beim Erfinden neuer Entwurfstechniken und hat diese Experimentierfreudigkeit an seine Studenten weitergegeben. Er hat sie aber auch angehalten, sich ganz diszipliniert mit den elementaren Mitteln zu befassen, den Streifen und Karos z.B., – Übungen, unter denen auch manche seiner Studenten gestöhnt haben, weil man doch lieber die ganze Freiheit in Anspruch genommen hätte. Die Freiheit, das wusste Wollner, kann sich erst dann richtig entfalten, wenn man sich die elementaren Dinge erarbeitet hat.
Damit befand er sich, ob bewusst oder unbewusst, in einer Tradition, die an der Akademie zu Hause war. Er hat den Umgang mit den „bildnerischen Mitteln“ an den Anfang seiner künstlerischen Lehre gestellt, ganz in der Tradition von Adolf Hölzel, der an der Akademie bis 1919 gelehrt hatte. (Anmerk. 19) Wollner hat ganz intuitiv seine Gedanken weitergeführt und die handwerklichen Techniken des Druckens und Webens, als heuristisches, auf die Kunst des Erfindens bezogenes Potential, erkannt und in die Lehre eingebaut.
Die „bildnerischen Mittel“, das was Stift, Pinsel und Schere vermögen, was der Webstuhl und die Drucktechnik hergeben, waren Repertoire und Laboratorium für das praktische Experimentieren.
Die zeitgenössische Kunst war für Leo Wollner der Hintergrund entwerferischen Tuns und ideelles Leitmotiv, ein Ideal, das es in das tägliche Leben umzusetzen galt. Sein Bestreben war, dem textilen Produkt eine kulturelle Qualität zu verleihen, die er glaubte, auch in einem industriellen Produkt für grosse Käuferschichten verwirklichen zu können. Diesen pragmatischen Anspruch hat er selbst vorgelebt und in das Bewusstsein seiner Schüler eingepflanzt.