Wann wird Geometrie Kunst?

Für Ernst Hückler

(1)  Anlass

Mit Alfred Hückler habe ich vieles gemein;  dass wir beide Mathematik und Geometrie in unser Grundlagenstudium eingebaut  haben und wir uns in vielen Gesprächen darüber nahe gekommen sind. Anlässlich seiner erneuten Ausstellung im Mathematikum  in Giessen, war die Geometrie wieder unser Thema.. Er hat nie von seinen Arbeiten als Kunst gesprochen, sie vielleicht  aber doch so verstanden. Bei  unserem Gespräch habe ich die Frage  gestellt  „wann wird Geometrie zur Kunst?“. Er hat mich ermutigt, der Frage nachzugehen, weil auch sie ihn interessiere und wir beide sie als Grundsatzfrage verstehen.

Dann gab es in der  FAZ einen Artikel von Eduard Beaucamp, der mich ermuntert hat, das Thema zu vertiefen. Er lautete :“ Die verschiedenen  Fraktionen (gemeint waren Kunstauffassungen) stritten jeweils um den einzig richtigen Weg – um die wahrere Wahrheit, die abenteuerlichere  Zukunft, die Richtung des Fortschritts, die grössere Freiheit, die radikalere Praxis, die verbindliche Theorie oder das definitive Ziel der Geschichte“  - ein Bündel an Fragestellungen, welche auch das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst aufwerfen, wie auch zwischen  Geometrie und darstellender Kunst, was ich als Teil einer faszinierenden europäischen  Kunst-und Geistesgeschichte ansehe.

Viele  konkrete Künstler kamen mir  sofort in den Sinn. Mir  wurde aber auch  gleich klar,  dass  es eine gewaltige Aufgabe wäre,  weil  das Thema auch die Frage mit einschliesst,  - was ist Kunst- ,  die zu beantworten ich mir nicht anmassen will. So bleibt es meine persönliche  Neugier,  die mich zu persönlichen Recherchen, Fragen und Einsichten bewegt hat, hoffend, in dieses grundsätzliche und professionenübergreifende Thema  alte Positionen zu aktualisieren  und vielleicht neue Fragen zu stellen.

  

(2) Bei Max Bill anfangen:

In einem  wichtigen Text von Max Bill „Die mathematische Denkweise in der Kunst unserer Zeit“, aus (Das) Werk, Vol. 36 (1949) oft zitiert und veröffentlicht, geht er auf frühe Kunstformen ein, wo Kenntnisse der Geometrie immer schon zum Rüstzeug der Gestalter gehört haben, „um einem Bildwerk Gleichmass und Harmonie zu verleihen“ als „geheime Verbindung von Kosmos und Kult“. Im gleiche Text sagt er, dass  mit der Renaissance und der  Entdeckung der Perspektive, sich dann die Kunst „ vom Ur-Bild zum Abbild“ entwickelte und dass damit der endgültige Verfall einer tektonischen und symbolischen Kunst besiegelt war“.

Sodann meint er, dass der „wesentliche Anstoss zu einer völlig neuen Auffassung  aber wahrscheinlich Kandinsky zuzuschreiben“  ist   und in der Folge „an Stelle der Phantasie die mathematische Denkweise“ zu setzen wäre.  Dieser Ausdruck  kommt bei Bill wiederholt vor und fortfahrend meint er, dass es möglich sein müsste,  „eine Kunst weitgehend auf Grund einer mathematischen Denkweise zu entwickeln“  und dass die Mathematik „eines der wesentlichen  Mittel zu primärem Denken und damit zum Erkennen der Umwelt ist“.  Er wiederholt,  dass von ihr „eine unbestreitbar  ästhetische Wirkung„  ausgeht,  was schon Platon  gesagt   hat  zu den regulären Körpern  im Timaios und was dann am Bauhaus,  ideologisch überhöht, gehandelt wurde. Solche Kunst, sagt Bill, verdankt ihr Entstehen einer  Vision, die sich auf einem Grenzgebiet“  bewegt,… „um neue Blickfelder zu öffnen und sinnlich wahrnehmbar zu machen“.

Das sind Statements von Bill, die  1949 die  Kunstwelt beschäftigt haben und  die „Konkrete Kunst“  zu erklären vermochten, – sicherlich als Manifest verstanden.

In einem Aufsatz in dem Buch   „FORM“ 1953,  mit dem Titel “ Form und Kunst.,  sagt er, dass man mit dem Begriff  Form von vornherein eine Qualität  verbindet, „dass Form in ihrer autonomsten Existenz eine Idee repräsentiert und dadurch identisch wird mit Kunst“  und an anderer Stelle, die Form nicht in sich, sondern als „Form gewordener Gedanke, Idee, Erkenntnis“  deklariert und dass wir bei der Beurteilung  darauf angewiesen sind „ die Formen in Kategorien zu gliedern …….“ als Formen der Kristalle, die Formen der Maschinen, die Formen der Möbel“  und Form als das Ergebnis des  Zusammenwirkens von Material und Funktion verstanden werden soll, mit dem Ziel, schön und vollkommen zu sein. Neue Formen, den Bezug zum Design meinend, stehen bewusst oder unbewusst „unter dem Einfluss der modernen Kunst“

Seinem Statement, dass „Form identisch wird mit Kunst“  widerspricht seiner Erwähnung von Kristallen, deren Form physikalische, naturgegebene Ursachen hat wie Vieles, was wir als Form wahrnehmen und  als schön empfinden und schätzen.

Die Form als das Zusammenwirken von Material und Funktion zu deklarieren, ist ein Teil des Funktionalismus, ist wichtig, aber nur ein Teil desselben. Denn es  gibt einen Gestaltungswilledes Künstlers, der zwischen Material und Funktion  viele, nicht zwingende Optionen hat.

In einem Buch über Max Bill, schreibt der Herausgeber Eduard Hüttinger , dass die ersten Bildregeln  Bills einfach zu verstehen sind, es geht „um Kontrast-und Komplementärverhältnisse, um geometrische Ordnungsprinzipien, bei den linearen Grössen um Teilungen in bestimmten Proportionen,  auch um Rhythmuswechsel von der geradzahligen zur ungeradzahligen Teilung, oder um progressive Reihen. Bei den Flächengrössen  geht es um den Ausgleich von Quantitäten, um Quanten-Äquivalentien oder um Dominanten. Bei den Farben geht es um die Polarität Farbe und Unfarbe; innerhalb der Farben um die Primärcharaktere und um ihre Komplementärpartner. Den komplexeren Bildregeln kommt man erst mit Hilfe von Modulrastern auf die Spur; es sind Rotationen, schief laufende  Mutationen und Progressionen aller Art“. Diese Bildregeln  sind  „vielmehr eine Gestaltung von Rhythmen und Beziehungen, von Gesetzen, die individuellen Ursprung haben“.

Es ist ein gewaltiger Kosmos, den Bill entwickelt hat, der mir aber auch viele Fragen stellt, weil Gleichmass und Harmonie,  Flächengrössen oder Farbe und Nichtfarbe  als  Beispiel zu den formalästhetischen Regeln der künstlerischen Gestaltung gehören, die  man schon fast klassisch nennen könnte,  die von jeder Kunstgattung jedoch  immer wieder  neu definiert  und interpretiert werden.

(3) Ursprünge.

Wenn man nach den Ursprüngen fragt, ist, Mathematik und Geometrie betreffend, Blaise Pascal  eine nicht zu übersehende  Quelle, welche den Beginn  einer geistesgeschichtlichen Denkweise einleitet, in deren Folge sich Max Bill und  Max Bense bewegen.  (Blaise Pascal Vom Geist der Geometrie, Classen & Würth Darmstadt 1948). In seinem klassischen Werk aus dem 17. Jahrhundert begründet er, „….nur deshalb die Wissenschaft gewählt“, zu haben,“ weil sie allein die wahren Regeln der Beweisführung kennt“ …(und.die Geometrie) „die einzige unter den Wissenschaften ist, die unfehlbare Beweise hervorbringt“.

„Diese gescheite wissenschaft ist weit entfernt“, so führt er aus „ Grundwörter wie Raum, Zeit, Bewegung, Gleichheit, Mehrheit, Minderheit ganz und andere zu … definieren“ und. er „… sich nur an die einfachsten Dinge hält“ „nur den bewiesenen Wahrheiten zustimmen“ will “.nur von Wahrheiten unserer Reichweite“. Bemerkenswert ist, dass er auch die Grenzen mathematischer Denkweise aufzeigt  „ dass die guten Dinge unerreichbar sind, indem man ihnen die Nahmen von hohen, hervorragenden, erhabenen Dingen gibt,“ „ … Wahrheiten, und nur von Ihnen sage ich, dass der Geist und das Herz gleichsam Tore sind, durch welche sie in die Seele aufgenommen werden“

Vielleicht meint er mit „den guten Dingen“ Sinnfragen, die jenseits von Logik und mathematischer Erkenntnis, die kein Thema der Wissenschaft sind, welche sie auch nicht zu beantworten strebt und sie der Kunst und der Geistesgeschichte überlässt. Und ich scheue mich auch nicht, ihn auf meine Weise interpretiert zu haben.

Pascals Klassiker ist ein Plädoyer für die Geometrie, deren Stringenz er propagiert, sie als Methode verteidigt, entscheidend zu ihrer Denkweise beigetragen zu hat,  aber auch die Grösse hat, ihre Grenzen aufzuzeigen.

(4)  Bei anderen angefragt:

Francois Morellet  sagt in einem Katalogtext  1971, dass die moderne Kunst einerseits ihre dokumentarische und politische Rolle durch die Fotografie verloren hat, ausserdem ihre sakrale Funktion, da die Religion unbedeutender geworden ist.

Er spricht dann, etwas abseits meiner Fragestellung, von, “Rumpelkammerkunst“ und frägt, wie diese aussehen sollte. „Malewitsch, Duchamp, Mondrian, Yves Klein oder heute Beuys, Carl Andre, Kosuth, de Andrea,  etc. sind  für ihn unter  anderen Beispiele der „Rumpelkammerkunst“

„Und sie haben ihren Erfolg verdient, weil sie es verstanden haben, dem aufgeschlossenen Kunstliebhaber dieses „beinahe Nichts“, das zum Füllen herausfordert , anzubieten“. Damit rekurriert er auf einen zentralen Satz seiner Kunstauffassung; „die Kunst muss es dem Betrachter möglich machen, das (in ihr) zu finden, was er will, d.h das, was er selber mitbringt“. Um aber das „beinahe Nichts“  wahrzunehmen,  so meint er, muss es zur Kunst erklärt werden, was Duchamp und andere getan haben.„Jedoch muss, was verpflanzt worden ist, seine originäre Bedeutung verlieren, damit der Betrachter ihm eine neue geben kann, die seine selbstverständlich“.

In einem anderen Kapitel desselben Katalogs nennt er fünf Elemente, die seine Arbeiten nach 1952 bestimmt haben:  Aneinanderreihung,  Überlagerung, Zufall, Interferenz und Fragmentierung, welche wiederum ganz allgemeine, formgebende Prinzipien künstlerischer Gestaltung sind, die er, Morellet,

geometrisch interpretiert, ihnen „jegliches Interesse für Komposition oder Ausführung fehlt und durch einfache und augenfällige Systeme… an die Beteiligung des Betrachters appellieren“

Es geht ihm um die Klarheit einer bildnerischen Aussage, um eine  Umdeutung, die er von jeder Geschichtlichkeit  entkleidet hat. Mit der    Abwesenheit von Komposition meint er sicherlich persönliche Geschichte und Historisches, er  aber  geometrische  Prinzipien zur Komposition werden lässt, welche als geometrische Interpretation  ihren besonderen Ausdruck finden.

Auch Morellet hat, die Geometrie verwendend, einen wunderbaren Kosmos eröffnet, den er manchmal  minimalistisch und provokativ interpretiert, manchmal auch poetisch überhöht und damit neue abstrakte  Bildwelten eröffnet.

Hartmut Böhm (geb 1944) hat sich mit dem Erbe von De Stijl auseinandergesetzt, dem russischen Konstruktivismus,  den Strömungen der 20er und 30er Jahre, mit  Richard Paul Lohse und Max Bill aus den 40er Jahren.

Von dieser Basis ausgehend, hat er seine eigene Fragestellung entwickelt; die systematische Erforschung der konstruktiven Elemente und ihrer visuellen Wahrnehmung. Mit der Anwendung oder Umsetzung von Progressionen führt er Bewegung und Dynamik in die Konkrete Kunst ein. Er akzeptiert eine etablierte  Kunstform und stellt sie nicht in Frage.

Es lässt mich aber mit der Frage, ob Progression und Dynamik Prinzipien formalästhetischer Gestaltung sind oder sie es nur durch die Geometrie geworden sind? Sie sind immer Bestandteil der Kunst gewesen,  werden nun aber von ihm geometrisch, abstrakt, in der Sprache der  Geometrie, neu interpretiert  und zum Repertoire künstlerischer Äusserungen  erklärt. 

Piet Mondrian natürlich.

„Es charakterisiert die Unbedingtheit Mondrians, dass er jede weitere Zusammenarbeit mit van Doesburg ablehnt, als dieser die Schrägstellung“  der rechtwinkligen Struktur einführte (zitiert nach Hüttiger)  weil Mondrian das als „willkürliche Korrektur“  verstand,  als Gleichgewichtsstörung der “mit unserer organischen Struktur verbundenen kosmischen Ordnung“. Damit meinte er sicherlich  die Horizontale und die Vertikale, die vom Menschen empfundene Schwerkraft, die er als das organische Prinzip verstand.

Damit spielt er nicht mit der Geometrie, wie es Bill tat, auch wenn seine Bilder geometrisch erscheinen.  Sie sind aus der Abstrahierung organischer Strukturen (z.B.Verzweigungsmuster) entwickelt und benutzen die geometrische Form als quasi objektiven Nachweis und sind deshalb für meine Fragestellung von bedingtem Interesse.

Auch Norbert Thomas (geb.1947) ist ein Vertreter der konkreten Kunst. Er hat den Zufall in seine Kunst integriert, die bewusste Komposition vermeidend, in gewissem Sinne „ das Relative gegenüber dem Logisch-Absoluten“ visualisiert.  (Eugen Gomringer) . Er benutzt das Repertoir  der geometrischen Reihung, welches  er  mit Algorithmen des Zufalls stört und damit  neue  Ausdruckswerte erfindet. 

Auch das  lässt mich fragen, ob der Zufall ein formalästhetisches oder ein geometrisches Prinzip ist, mit dem Norbert Thomas über die Mathematik und die Geometrie neue bildnerische Ausdrucksweisen erschlossen hat.  Auch er hat den Zufall zum geometrischen Ideogramm gemacht , welches er künstlerisch interpretiert.

Max Bense, der ein Anreger war, viele Künstler inspiriert und vielen Designern ein intellektuelles Rüstzeug gegeben hat, soll nicht fehlen. (Max Bense, Konturen einer Geistesgeschichte der Mathematik, Die Mathematik in der Kunst, Claasen & Goverts,  Hamburg 1949,) Er formuliert die Unterscheidung zwischen der technischen und der kulturellen Welt, “… der technischen Welt“, die an die Stelle der „kulturellen Welt“ tritt oder als „technische Zivilisation“ nun mehr unabänderlich die „ kulturelle Welt“ durchdringt und überdeckt, ……….“  (Paul Bourget, von Bense zitiert)

„….. denn ich weiss nicht, wie anders als mathematisch man über Form reden soll, wenn man überhaupt verbindlich, nachprüfbar und allgemeingültig reden will“

Auch bei Bense geht es um die „…..Zurückführung des Geistes auf die Form….“ womit er Max Bill nahe steht ,“ … denn die Komposition ist der Geist selbst“ und

…“dass jede Entstehung eines neuen Stils in der europäischen Kunst verknüpft ist mit der Einführung mathematischer Methoden und Theoreme“ .Er zitiert wiederum Albert Verwey, ( Rhythmus und Metrum 1934) ..„ wir werden nie etwas anderes äussern als die Rhythmen, die sich aus uns empordrängen,… die Poesie in ein Verhältnis gesetzt zur Mathematik…“ nicht bloss  mathematischer Geist spricht aus den Versen, sondern eine wohlbestimmte  Arithmetik“. Für ihn ist „…die Dichtung  ein Korrektiv der Wissenschaften und die Wissenschaft ein Korrektiv der Dichtung  in der Herausbildung der Sprache und der  Ideen“.

Bense schlägt damit eine wichtige Brücke zwischen Wissenschaft und Kunst, die er auf Rhythmen und eine wohlbestimmte Arithmetik zurückführt, vielleicht auf eine Tektonik, auf  das Konstruktive, welches er in der Geometrie zu finden glaubt und in ihrer Abstraktion eine neue Wahrnehmung erhofft.. Aber sind es nicht auch Bilder, Abbildendes oder Geschichten, welche unsere Wahrnehmung fordern?

Das Abbildende, das Narrative, das Dokumentierende sind schon immer Teil der Kunst  gewesen, wurden künstlerisch aufgeladen und sind auch in der zeitgenössischen Kunst ein Thema. Deshalb ist Bill´s und Bense`s  mathematische Denkweise, welche sie mit  Vehemenz  thematisieren, nicht als Ausgrenzung oder Verengung zu verstehen, sondern als  Öffnung.

(6) Fragen und Vermutungen.

Künstler haben immer wieder neue Felder gesucht und zu einer neuen Richtung, Auffassung oder einem Stil  deklariert, – behauptet, was  sein könnte oder sein  sollte – und  damit  ein für künstlerisches Denken und Visualisieren neues Arbeitsfeld eröffnet. Dazu zählt auch die Entdeckung der Geometrie als gestalterischer  Horizont und „mathematische Denkweise“ als eine darin enthaltene, in dieser Form bisher nicht  bekannte, methodische Denkweise. So hat die Aktualisierung der Geometrie und  der Mathematik zu einer nun etablierten Kunstformen geführt;  u.a.  zur  konkreten Kunst oder zur konkreten Poesie.

Aber die Begründung einer  neuen Auffassung, eines neuen Stils, einer  neuen künstlerischen Kategorie,  beschreibt nur deren möglichen Horizont,  der ein gestalterisches Potential benennt, das  erst  durch die künstlerische Kraft bildhafter Gestaltungen geöffnet und erfahrbar gemacht  werden muss. 

Manchmal sind es individuelle künstlerische  Leistungen, die zu  einer Kunstform führen, manchmal auch breite Strömungen, die auch gesell- schaftliche Befindlichkeiten zu interpretieren versuchen.

Es waren einmal das Symbolische, das Heroische, das  Wahre, das Fromme,  das Alltägliche, das Wahrgenommene, das  Zufällige , das Geschichtliche, das  Politische, – vieles liesse sich anfügen,  deren Interpretation wir der Kunst verdanken.

Die Entdeckung der Geometrie als ein künstlerisches Feld ist eine grossartige Leistung, weil sie ein neues Element in das künstlerische Handeln eingebracht hat.

Die Künstler haben neue und andere Fragen an die Disziplin gestellt und einer künstlerischen Fragestellung  unterzogen. Sie haben Geometrie und Mathematik in einen geistesgeschichtlichen Kosmos gepackt, vor allem aber visuell und emotional erfahrbar gemacht.

Bei der Umdeutung und Verfremdung, der Transposition in einen anderen professionellen, meist europäischen  Bezug, haben sie neues Denken freigesetzt und Synergien provoziert, so  die Vermählung von Naturwissenschaft und Kunst, die, so meine ich, ein grosses Thema unserer Zivilisation  ist und  mehr Beachtung verdient.

Aber was sind die Eigenschaften, welche die Geometrie zur Kunst machen?

Es ist sicherlich nicht die Geometrie selbst, die heute andere Fragen stellt und welche bei der konkreten Kunst nicht über  die Grundlagen hinausgeht und bei den Künstlern nur das Anschauliche aufgreift.

Dabei scheint  die Tektonik, vom Bauen ausgehend, von der Verbindung zwischen Architektur und Kunst, das Kunstverstehen einer bestimmten Zeit und einer Gruppe von Künstlern, geprägt zu haben. Und es bleibt die Frage, ob es richtig ist, dass die angewandte Kunst sich im Schlepptau der freien Kunst befindet und ihr die  Oberhoheit  überlässt.

Es scheinen die empfindungsmässig wahrgenommenen Eigenschaften zu sein, die expressiven Werte, welche die Geometrie erst zur Kunst machen. Die Geometrie ist nur das Spielfeld, – selbst gesetzte Regeln-  und die Bewunderung für eine  klare und allgemeingültig erscheinende Wissenschaft , deren künstlerische  Behandlung die Qualität ihrer  Bilder ausmachen und die Art und Weise, wie sie zu einem neuen Kosmos gefügt sind .

Ihre vehemente Ablehnung des Gegenständlichen und  Figürlichen,  muss als Ergebnis revolutionärer Neuorientierung verstanden werden, als neue Kategorie, aber auch, als eine Verengung des bildnerischen Ausdrucks, in dem Bestreben, die Welt zu interpretieren.

Mathematik und Geometrie wurden, aus dem  Wunsch nach Klarheit, Objektivität  und Transparenz, von der konkreten Kunst  erkannt und als  Mittel eingesetzt , in dem sie  neue Prinzipien entdeckte und künstlerisch interpretierte.

(7)  Vielleicht auch.

Es muss aber auch noch andere Gründe geben, die das künstlerische Interesse stimuliert haben:

Vielleicht ist es auch die materielle Interpretation, die Faszination von mathematischen Modellen,  die bildhafte Logik einer Pythagoras-Darstellung, die geometrische Visualisierung von Zufall, von Dynamik oder einer mandelbrot´schen Darstellung selbstreferentieller Muster in der Natur, deren ablesbare Stringenz die Kunst bewegt haben.

Bedeutend dabei ist die Entfernung von einer persönliche Darstellungsabsicht, nicht aber von persönlicher Denkweise.

(8)  Vielleicht aber auch mehr:

Die Geometrie erscheint uns als Antipode zur natürlichen Welt. Sie enthält, in ihren bildnerischen Ausprägungen, eine in der Natur nicht zu findende Sprache, sondern einen vom Menschen erdachten Kosmos, einer ideellen räumlichen Ordnung, in der ein Punkt den Schnittpunkt zweier Geraden markiert  oder Paralellen sich im Unendlichen treffen und, jenseits unseres Wahrnehmungsvermögens, unsere Phantasie als virtuelles Konstrukt beflügeln. Vielleicht ist es der geistige Hintergrund, die Faszination einer künstlichen Welt als Metapher für unser Weltverständnis, das  auszuloten die Kunst angetreten ist und  damit der Geometrie neue Horizonte geöffnet hat.

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