Gestaltende Kräfte zusammenführen – Plädoyer für einen Ort
in: Dokumentation einer Veranstaltung des Deutschen Werkbundes Baden-Württemberg 2003
Meine Damen und Herren, es fällt mir die Aufgabe zu, von der Innovation, dem Neuen, von einer historisch gewachsenen Kultur der Tüftler im Lande, die Brücke zu schlagen zur Gestaltung. Es ist keineswegs selbstverständlich und entspricht auch nicht dem landläufigen Bild, dass sich die Gestalter mit den Forschern, Erfindern und Entwicklern verbünden wollen, die einer ganz anderen Gattung anzugehören scheinen, für die Gestaltung kein Thema ist, oft nebensächlich, oder bestenfalls das Sahnehäubchen.
Um dieses Nebeneinander in ein Miteinander zu korrigieren, sind wir angetreten, denn es ist schon immer das Anliegen des Werkbundes gewesen, ganzheitlich zu denken. Deshalb ist es das Anliegen unserer Initiative, eine neue Plattform zu suchen – eine Plattform für zukunftsträchtige Aktivitäten.
Wir haben unsere Veranstaltung genannt: „Gestaltende Kräfte zusammenführen“, weil wir der Meinung sind, dass es dafür einen Ort braucht, einen festen Platz im Kulturgefüge der Stadt, mit Wirkung ins Land, – eine lebendige Begegnungsstätte. Deshalb der Untertitel und das „Plädoyer für einen Ort”.
Zusammenführen wollen wir nicht nur die Disziplinen, einbinden und kooperieren wollen wir mit den Institutionen des Ortes, welche die Offenheit besitzen, mit uns ein Experiment zu wagen. Wir sind auch anmaßend und glauben, dass der Deutsche Werkbund die richtige Institution ist, ein solches
Vorhaben zu befördern.
Meinen Ausführungen habe ich deshalb folgende Fragestellungen zugrunde gelegt:
1. Was meinen wir mit Zusammenführen der gestaltenden Disziplinen?
2. Was haben wir gemeinsam und was trennt uns?
3. Warum ist Stuttgart der geeignete Ort?
4. Bleibt noch zu fragen, wer ist überhaupt der Werkbund und warum wird er hier aktiv?
5. Und, als Schluss – was wollen wir mit der Veranstaltung und was erwarten wir von Ihnen?
1. Was meinen wir mit „Zusammenführen?”
„Vernetzung“ ist das gängige Schlagwort aber es ist eine irreführende Metapher, weil sie die Vorstellung birgt, dass mit einer Verknüpfung der unterschiedlichen Disziplinen die Sache gelaufen ist. Dem ist aber nicht so. Es geht nur am Rande um die Verknüpfung von Informationen, vor allem geht es um den Austausch von Denkmustern, Arbeitsweisen und Werthaltungen. Denn nur dann kommt es zu Synergien, zur gegenseitigen Befruchtung! Und das ist keine leichte Sache, weil sie die Bereitschaft erfordert, unbelastet sich in andere Disziplinen hineinzudenken, sie zu verstehen und sich anzueignen. Das ist ein mühsamer Prozess und erfordert mentale Arbeit.
Der in Konstanz lehrende Philosoph Jürgen Mittelstrass spricht deshalb auch nicht von lnterdisziplinarität, sondern von Transdisziplinarität. Er bezeichnet die Welt, in der wir leben, als „Leonardo-Welt“, sie hat eine technische Form. Ihr Motor ist der wissenschaftliche und technologische Fortschritt – rational und aufklärerisch. Mittelstrass benennt damit den Punkt, an dem die Tradition der Schulen, (der wissenschaftlichen Erkenntnis) und die Tradition der Werkstätten (der Technik, auch die angewandten Künste) sich zu einer neuen Qualität vereinen. Es ist die Welt, die der moderne Mensch sich selbst macht – unsere Welt. Seine Referenz an den großen Ingenieur Baumeister, Wissenschaftler und Künstler Leonardo da Vinci gibt mir auch gleich das nächstebStichwort: Leonardo war ein Erfinder UND Gestalter.
Zurecht werden Sie mich fragen, was es soll, sich auf ein Genie der Renaissance zu beziehen, das noch über das gesamte Wissen der antiken Welt verfügen konnte und dessen künstlerischer Status unangefochten unsere Bewunderung erheischt, während wir es heute mit einer hoch entwickelten Arbeitsteilung zu tun haben, mit in sich abgegrenzten Berufsbildern und eigenen Denkweisen und Werthaltungen. Mit den Forschern, den Erfindern, den Entwicklern, den Gestaltern. Hier wiederum, nochmals differenzierend: den Gestaltern von Häusern, Landschaften und Städten, Brücken, Türmen und Trassen, den Gestaltern von Robotern, Kaffeemaschinen oder Bürostühlen, oder den Gestaltern von Magazinseiten, Filmen, Websites oder, wenn Sie wollen, Events.
2. Was haben wir gemeinsam und was trennt uns?
Sollten sie etwas gemeinsam haben? Wir haben Gemeinsamkeiten auf unterschiedlichen Ebenen, aber auch Unterschiedlichkeiten. Ein Versuch, sie zu
beschreiben:
Gesellschaftlich gesehen, beschäftigen wir uns alle mit den Auswirkungen der Globalisierung, der Abwanderung von Arbeit und Kapital, mit der demographischen Entwicklung, der fortschreitenden Veralterung der Gesellschaft und dem Problem der Nachhaltigkeit, dem behutsamen Umgang mit den Ressourcen und der Erhaltung unserer natürlichen Umwelt für die nachfolgenden Generationen:
Sei es als Ingenieur mit ressourcenschonenden Bauweisen, umweltverträglichen Automobilen, effizienteren Werkstoffen oder alternativen Energieformen. Sei es als Landschaftsplaner mit der Zersiedelung der Landschaft, „der großen Landschaftszerstörung“. Ein altes Werkbundthema. Sei es als Architekt mit dem Thema „Schrumpfung“ und „Migration“, „Verdichtung“ und „Umnutzung“ urbaner Lebensräume. Sei es als Designer mit der Aufgabe, intelligente Produkte zu gestalten und Märkte zu erschließen und die immer komplizierteren Technologien dem Konsumenten verständlich zu machen.
Sei es als Mediengestalter, Texter, Fotograf, Filmemacher, deren Bilder und Texte unser Bewusstsein und unser Verhalten prägen. Man denke, als Beispiel, an die Mode – selbst dort, wo man es vielleicht nicht erwartet, gibt es das Problem der Nachhaltigkeit: recyclebare Materialien, oder das Problem der Überalterung: Mode für die Senioren, oder das Problem der Globalisierung, dass die Produktion unserer Bekleidung in die Billiglohnländer abgewandert ist. Und alle haben sie, wenn sie ihren Beruf ernst nehmen, einen ästhetischen Anspruch! Um ihre Produkte attraktiv zu machen, müssen sie neue Dinge erfinden und ihnen Gestalt geben. Sie müssen den Nerv der Zeit treffen, den richtigen Ausdruck finden, sie sollen überzeugen, nützlich und ja — auch schön sein, letztendlich auch Sinn stiftend wirken, weil wir uns über unsere Produkte definieren. Und das, was ich mit Produkten meine, gilt gleichermaßen für die gebaute Welt.
Dafür haben die Gestalter ein einmaliges Werkzeug: SIE GEBEN GESTALT, mit der sie den Nutzer einfangen. Sie verfügen über ein formalästhetisches Repertoire und wissen, wie Form und Farbe, Struktur und Textur, Licht und Schatten, eingesetzt werden müssen, welche Anmutungen wie erzeugt werden können, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Dieses Werkzeug ist deshalb einmalig, weil über die Gestalt man die „Wünsche des Herzens aufgreifen kann“, so sagt es, blumig, der bekannte japanische Designer Kenji Ekuan, „was nicht gestaltet ist, ist nicht da“‚ und Lucius Burkhardt sagt, “dass alle bewusstseinsverändernden Maßnahmen in hohem Maße ästhetisch vermittelt werden“. Deshalb ist Gestaltung auch ein verantwortungsvolles Geschäft.
Ich halte fest: Die gestaltenden Berufe handeln in einem kulturell und wirtschaftlich geprägten Kontext. Und sie benutzen eine, zumindest in ihren Grundzügen, gemeinsame formale Sprache und haben gemeinsame Verantwortlichkeiten.
Eine „Reorganisation der künstlerischen und wissenschaftlichen Praxis“ wie Mittelstrass es fordert, können wir nicht leisten, aber wir können sie zumindest stimulieren. Zu den Unterschiedlichkeiten gehört, dass die einzelnen Disziplinen eine eigenständige Geschichte haben, ein Berufsethos und ein eigenes Selbstbewusstsein, allzu oft mit Abgrenzungstendenzen zu den Nachbardisziplinen. Alle haben sie ein gerütteltes Maß an Fachwissen parat, wunderbare Werkzeuge für eng gesteckte Ziele, alle tragen sie zu dem bei, was man Zivilisation nennt und alle tragen den Rucksack ihrer eigenen Profession mit sich.
Doch sind auch Vorurteile auszumachen, die sich eingegraben haben:
– Ingenieure, die sich von Architekten übervorteilt fühlen,
– Architekten, die ihre Profession als Mutter der Gestaltung betrachten, und allen anderen misstrauen,
– Designer, die sich als Hüllenmacher missverstanden fühlen,
– Mediengestalter, die von allen anderen sowieso als Werkzeug der Kommerzialisierung angesehen werden.
Alle aber tragen sie bei zu dem, was man Zivilisation nennen kann und sind ein Rad im Räderwerk wirtschaftlichen und kulturellen Handelns.
Ich halte fest: Es gibt viele professionelle Gräben zu überwinden, und wir sollten ein besseres Verständnis für unsere Nachbardisziplinen entwickeln. Jeder wird davon profitieren, „Crossover“ ist das gängige Schlagwort. Neben Unterschiedlichkeiten gibt es aber ein noch nicht erschöpftes Potenzial, nämlich die Begegnung mit anderen Denkweisen, mit anderen Heuristiken, Entwurfstechniken, Methoden und Algorithmen, deren Kenntnis und Nutzbarmachung neue Anstöße verspricht, und Synergien freisetzen kann. Das ist nicht neu, werden Sie zurecht einwenden und ich denke, um ein lokales Beispiel anzuführen, an die anregenden Begegnungen der Biomechaniker mit den Architekten am Institut für Leichte Flächentragwerke unter Frei Otto, der FOGIB, einer interdisziplinären Forschungsgruppe unter Jörg Schlaich, in der es um die Gestaltqualität im Ingenieurbau ging. Ich weiß von vielen Seminaren, in denen das Interdisziplinäre als Programm eingebaut war, weiß aber auch, dass das ein mühsames Geschäft ist, weil es eine Bewusstseinsveränderung im disziplinären Denken verlangt. Und dieser Prozess, so meine ich, steht erst am Anfang. Mit unserer Initiative wollen wir diesen Prozess stimulieren.
Ich halte fest: Die Beschäftigung mit den Werthaltungen anderer Disziplinen und die Kenntnis ihrer Methoden und Techniken kann neue Impulse geben. Alle haben wir, die gestaltenden Berufe, das Problem, dass unsere Arbeit von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wird. Jedermann kennt im Detail die Autotypen, weiß aber nicht, dass da ein gewaltiges Gestaltungsteam dahinter steht. Jeder fährt auf der Autobahn, weiß aber nicht, welche gestaltenden Kräfte dahinter standen. Und ist es nicht ärgerlich, wenn in einem großen Artikel über das neue Kunstmuseum der Stadt Stuttgart nicht einmal die Namen der Architekten erwähnt werden? Das gleiche gilt für die Fotografen, welche die neuen Moden in der täglichen Zeitung inszeniert haben oder die Zeitung selbst, ihr Layout, ihre Lesbarkeit, wer schenkt dem eine Notiz? Der Designer, welcher dem neuen Computer ein neues Gesicht und bessere Bedienung verpasst hat,… oder der Planer, der… die Architekten die… Es ließe sich noch vieles anführen, ich will nicht ausschweifen, halte aber fest:
3. Warum ist Stuttgart der geeignete Ort?
Wir müssen das Thema Gestaltung als wesentlichen Teil unserer Alltagskultur mit Nachdruck vertreten und öffentlich machen, zumal in einer Region, die von lnnovation und Gestaltung lebt. Und wir brauchen eine Solidarisierung der gestaltenden Disziplinen.
Die bedeutendste Designsammlung, die Neue Sammlung, hat, noch vor gar nicht langer Zeit, in München ein großartiges Museum bekommen. Eine der ältesten Designsammlungen befand sich hier in Stuttgart im Landesgewerbeamt. Die Politik hat sie vor vielen Jahren an das Landesmuseum abgestoßen, weil das Landesgewerbeamt nur Wirtschaftsförderung betreiben sollte. Aus Personal- und Platzgründen muss sie dort zwangsläufig schlummern. Baden-Württemberg kann auf eine lange Tradition in der Gewerbe- und Designförderung zurückblicken. Für viele Länder ist sie Vorbild gewesen.
Die Bemühungen, hier ein Technik-Museum einzurichten, sind leider erfolglos geblieben – und das in einer Region, die von High Tech lebt! Es gibt in
Stuttgart auch kein Architekturmuseum, die Entwürfe der hiesigen Architekturpioniere werden in Karlsruhe und Frankfurt gesammelt. Und wo ist etwas zu erfahren über die bedeutenden Leistungen hiesiger Bauingenieure? Der Stuttgarter Fernsehturm ist zu einem internationalen Standard geworden. Die maßgeblichen Pioniere moderner Seilnetzkonstruktionen kommen aus Stuttgart. Aber wer weiß das schon?
Auch das grafische Gewerbe hat hier nicht einmal einen Schaukasten, obwohl hier bedeutende Buchgestalter, Grafiker, Typografen und Fotografen gewirkt haben – und noch wirken. Stuttgart war einmal als verlegerischer Standort wichtig, aber auch in diesem Jahr ist wieder ein wichtiger Verlag abgewandert.
Stuttgart und Ludwigsburg sind dabei, ihre Bedeutung als Medienstandorte zu beweisen. Unterstützung wäre angebracht! Es gab eine Stuttgarter Schule in der Architektur, es gab eine Stuttgarter Schule im Graphik-Design, im Möbeldesign und in der Glasgestaltung. Und das lndustriedesign braucht sich auch nicht zu verstecken. Der Verband Deutscher lndustriedesigner wurde in Stuttgart gegründet, und unter der Postleitzahl 7 ist etwa ein Viertel der in der BRD registrierten Designer zu finden.
Ich halte fest: Es gibt in Stuttgart gestalterische Traditionen, die weit über die Region gewirkt und zuweilen an der Vorderfront der internationalen Avantgarde gestanden haben. Es wäre schön, einen Ort zu haben, an dem mit diesem Erbe nicht museal, sondern zukunftsträchtig, reflektierend und
lebendig umgegangen würde.
4. Wer ist überhaupt der Werkbund?
Der Werkbund ist eine Institution, die, so Christian Marquardt, gäbe es sie nicht, man schleunigst erfinden müsste. Er ist „eine der großartigsten und
fruchtbarsten Leistungen der neuen Deutschen Geistesgeschichte“, und das sagte niemand geringerer als Theodor Heuss, (er selbst war Mitglied und von 1918 bis 1923 Geschäftsführer) in einem Aufsatz 1951 zum 50 jährigen Bestehen des Deutschen Werkbundes. Ob er diesen Anspruch heute noch erfüllt, kann man anzweifeln. Aber es gibt ihn. Auch heute meldet er sich zu Wort, wie er das in der jüngsten Vergangenheit getan hat, hier in Baden-Württemberg, dem größten und aktivsten der Landesbünde, mit ca. 400 Mitgliedern, und, das muss ich auch einmal zu Kenntnis bringen, im letzten Jahrzehnt mit zahlreichen Veranstaltungen und Ausstellungen und vielen von ihm initiierten Projekten aktiv geworden ist.
Die institutionelle Arbeit des Werkbundes kann man als „bewusstseinschaffend“ bezeichnen, durch Anregen (und Aufregen), Standpunkte Beziehen, durch Provozieren, durch Streit um Positionen, Anschauungen und Werthaltungen, den Blick über professionelle Grenzen wagend und bereit, eigene
Grenzen zu verschieben, immer mit dem Menschen beschäftigt, mit seiner Zukunft und seiner Lebensqualität, immer in einer intellektuellen Krise, aber durchgängig ganzheitlich orientiert, und unabhängig von berufsständigen Interessen. Seine Mitglieder sind den Grundzügen des Werkbundes verbunden. Ihre Arbeit geschieht vor Ort, das ist der praktische, für den Aussenstehenden nicht immer erkennbare Teil des Werkbundes. Aber was sind die Grundzüge des Werkbundes, so werden Sie fragen. Und ich erlaube mir zum besseren Verständnis hier ein wenig in die Geschichte zu gehen:
Als 1907 der Werkbund gegründet wurde, war man gerade dabei, den Historismus zu überwinden, Aus England schwappte die Arts and Crafts Bewegung über den Kanal, John Ruskin war auf dem Kontinent ein viel gelesener Mann und William Morris war in seiner ablehnenden Haltung der Maschine gegenüber für einige ein Vorbild, für andere stand er für etwas, das es zu überwinden galt. Stimulierend war seine Suche nach einem neuen Stil, der hier mit der Jugend in Verbindung gebracht wurde (Jugendstil) und die Verheißung eines neuen Aufbruchs signalisierte. “Das Englische Landhaus“, eine Beschreibung der Arts and Crafts Architektur in England – Herrmann Muthesius hatte man dorthin geschickt – war zu einem Standardwerk der jungen Architekten geworden.
Die sozialen Probleme waren groß: rasches Wachstum der Städte, Binnenwanderung, Konkurrenz zu England auf dem Weltmarkt, keine prägende
Gesellschaftsschicht und zwei „bauvergnügte und dekorationsfröhliche Monarchen“, um noch einmal Heuss zu zitieren, nämlich den 2. Ludwig (Bayern) und den 2. Wilhelm (Preußen), wohl beide mit zweifelhaftem Geschmack und neben der Zeit. Das muss man sich einmal vor Augen halten, um das Pathos des Jugendstils zu verstehen. Er wurde dann aber, und das enthüllt die Dynamik der Umbrüche jener Zeit, und hier war der Werkbund die treibende Kraft, innerhalb eines Jahrzehnts hinweggefegt. Daran hatte Ernst Naumann, den man in Heilbronn in den Reichstag gewählt hatte, ein Sozialpolitiker, später Vorsitzender der Weimarer Nationalversammlung, einen entscheidenden Anteil.
Und es ist bemerkenswert, dass einer der wichtigsten Visionäre des Werkbundes kein Künstler oder Gestalter war. Viele Unternehmer, neben Politikern und Gestaltern, gehörten zu den Initiatoren. Peter Bruckmann z.B. gehörte zu dem Kreis, Inhaber einer renommierten Besteckfabrik, durch dessen Beziehungen später das Gelände für die Weissenhofsiedlung geschaffen wurde. Auch Robert Bosch konnte gewonnen werden und stand dem Werkbund nahe. Und ich bin voller Ehrfurcht, zu wissen, dass er täglich die Treppe benutzte, die auch Sie heraufgekommen sind. Sein Arbeitszimmer liegt nebenan. Vielleicht ist das auch ein gutes Omen für unser Vorhaben.
Ich will nicht die Geschichte des Werkbundes ausbreiten, aber es war mir wichtig darzustellen, dass die Gründung des Werkbundes zuerst einmal nicht in den Händen gestaltungsfixierter Künstler lag, sondern von pragmatischen, sozial orientierten und wirtschaftlich denkenden Leuten betrieben wurde. Natürlich kam auch die Frage auf, welche Gestalt die neu zu schaffende Welt haben sollte:
Sollte sie dem individuellen Gestaltungswillen des Künstlers gehorchen – oder sollte sie anonym sein, dem Gebrauch verpflichtet, der Herstellung und
dem Material gerecht und aus der Funktion geboren?
Die heftige Auseinandersetzung darüber wurde im Werkbund geführt und wurde, wie wir wissen, zu Gunsten des letzteren entschieden. Der Funktionalismus nahm seinen Lauf, die abstrakte Kunst lieferte dafür das formale Repertoire; Mondrian, van Doesburg, Malevich oder Rietveld wären zu nennen, und das Bauhaus. Einer der wichtigsten Beiträge zur internationalen Gestaltungskultur wäre ohne die programmatische Vorarbeit des Werkbundes nicht denkbar.
Die Referenz an die Pioniere der 20er Jahre, mit ihrem radikalen Ansatz und Aufbruchsenthusiasmus, ist uns immer noch Beispiel, auch wenn wir ihre Leistungen heute in einem anderen Licht sehen.
Ich mache einen Sprung und frage, was waren die Aktivitäten des Werkbundes nach dem 2. Weltkrieg? Architektur, Städtebau und Wohnen sind immer noch die klassischen Themen, die es aber auch immer wieder neu zu interpretieren gilt. (Die meisten Mitglieder des Werkbundes heute sind Architekten).
Mit dem Wandel von der Industriegesellschaft zur postindustriellen lnformations- und Wissensgesellschaft aber, haben sich die Perspektiven verschoben, neue Problemstellungen sind entstanden und haben sich in seinen Aktivitäten niedergeschlagen.
Beispielhaft einen kurzen Blick in die Arbeitsbilanz des Werkbundes Baden- Württemberg: Es waren zahlreiche Ausstellungen und Tagungen wie „ Die große Landzerstörung“ 1959, „Grenzfall Rhein” zusammen mit dem Schweizer Werkbundes 1970, „OIKOS. Von der Feuerstelle zur Mikrowelle” 1992-1995 und „baumstark! Wald-Holz-Kultur“ 2001 (Die letzten beiden Ausstellungen begannen ihre Tournee hier im Landesgewerbeamt). Oder um die Breite der Themen aufzuzeigen: „Design im Zeichen der Mikroelektronik“ 1989, „Wandel der Lebensstile“ 1992, „Mutmaßungen über die Zukunft – Orientierung ins nächste Jahrtausend“ 1997.
Sie müssen mir nachsehen, dass ich hier den Werkbund herausstelle und versuche, ihn mit seinen Aktivitäten zu beschreiben. Sie sollten, so meine ich, wissen, wer der Veranstalter dieses Symposiums ist, weil ich damit ausdrücken möchte, dass der Werkbund die richtige Adresse, der geeignete Initiator ist. Er hat einen guten Namen.
5. Zum Schluss nun, was erwarten wir von Ihnen?
Was ich gesagt habe, war vielleicht etwas akademisch oder schulmeisterlich. Gestatten Sie mir deshalb zum Abschluss, ein wenig Pathos oder wenn Sie wollen, ein wenig Herzblut auszugießen.
Die Vorstellung eines „Ortes“ für die gestaltenden Disziplinen hat sich in unseren Köpfen eingenistet und, vielleicht bei jedem anders, schon Form, angenommen. Aber wir wissen sehr wohl, dass wir unsere Kreise erweitern und am öffentlichen Interesse messen müssen. Wir sind uns bewusst, dass wir Kritik brauchen, professionelle Anregungen, dass wir auf der Suche nach Mitstreitern sind, unser Konzept vielleicht auch revidieren müssen und dass wir es nur in Schritten realisieren können. Wir wissen auch, dass wir es mit Befindlichkeiten zu tun haben werden, mit institutionellen und personellen Barrieren. Es ist uns auch bewusst, dass wir noch viel Lobby-Arbeit leisten müssen, um unser Vorhaben zu realisieren. Und ganz gegenwärtig ist uns die wirtschaftliche Situation: sparen, sparen, sparen, Konsumverzicht, Null-Wachstum, Resignation, Resignation auf hohem Niveau! Wir befinden uns in einem psychologischen Tief.
Ich meine, wir sollten uns mit einer mutigen Geste daraus befreien und ein Zeichen setzen. Wir sollten uns auf unsere Potenziale besinnen, auf das, was in unserer Region als wirtschaftliches und kulturelles Potenzial gewachsen ist, es fördern und entwickeln und mit Nachdruck propagieren. Das Literaturhaus, in dem wir uns befinden, ist ein leuchtendes Beispiel von tatkräftiger Bürgerinitiative. Könnten wir nicht, parallel zu Theaterhaus und Literaturhaus in Stuttgart, ein Haus etablieren? Nein‚ ich werde es nicht Design-Haus nennen. Wir haben aus guten Gründen beschlossen, es nicht so zu nennen.
Sollten wir so etwas nicht wagen können, zusammen mit der bedeutenden lokalen Industrie, den vielen Verbänden und Institutionen, den vielen Gestaltungsbüros und herausstellen, dass Gestaltung ein Kultur- und Wirtschaftsfaktor ist? Mit einer Öffentlichkeit, die es noch zu motivieren gälte, deren Interesse an Gestaltung noch wach geküsst werden müsste, und einer Politik, die einen Impuls von den gestaltenden Disziplinen braucht, den Anstoß von einer interprofessionellen, schlagkräftigen Fraktion, welche das Thema Innovation und Gestaltung als Teil unserer Lebensqualität propagiert?
Sollten wir nicht etwas für die Stadt tun, die‚ wie viele, unter dem Sog der Bundeshauptstadt leidet, die sich nicht entscheiden kann zwischen schwäbischer Betulichkeit und internationalem Anspruch, die alles kann. Sie wissen schon, die von den schönsten Landschaften umgeben ist und mehr Naturfreunde verzeichnet, als sonst wo, die ein wunderbares, ein gebildetes und musisches Publikum hat, ohne das Oper, Ballett und Schauspiel, Theater und Kleinkunst, Literatur und Film kein Auskommen hätten, und deren Künstler wie Hoelzel, Baumeister, Schlemmer als Beispiel, einmal die Avantgarde bestimmten.
Stuttgart hat mehr zu bieten als was es zeigt. Aber es gibt auch weiße Flecken auf der kulturellen Landkarte der Landeshauptstadt und der Region. Das Thema Gestaltung ist unterbelichtet. Die grossen Leistungen der „Angewandten“ sind nicht oder nur spärlich zu finden, sie haben sich noch nicht im kollektiven Bewusstsein der Bevölkerung eingenistet, auch nur beschränkt im Bewusstsein der Politik. Von der Wirtschaft wird das Thema nur utilitaristisch aufgefasst und von den Professionen oft nur unter berufsständigen Interessen betrachtet. Und das, ich wiederhole mich, in einer Region, die von Innovation und Gestaltung lebt und zwingend eine Zusammenführung und Solidarisierung ihrer Potenziale erfordert.
Vielleicht stimmen Sie mir zu, dass es hier etwas zu tun gibt:
Wir brauchen Ihre Kritik, wir brauchen Ihre Anregungen, wir hoffen auf Ihre Zustimmung, und, sollten Sie uns die geben, so brauchen wir, in welcher
Form auch immer, Ihre tatkräftige Mithilfe.